Das Kreuz mit der Schrift
Die Baukosten betrugen fast 700 Millionen Euro, fertiggestellt wurde es im November 2020: das wieder errichtete Berliner Schloss. Bereits im Jahr 2002 wurde der Wiederaufbau vom Bundestag beschlossen; 2008 bekam der italienische Architekt Franco Stella den Auftrag, den Bau des Schlosses nach historischer Vorlage samt Kreuz zu erstellen. Kaum fertiggestellt, entzündete sich ein bemerkenswerter Streit um das historische Gebäude.
An der Kuppel unter dem vergoldeten Kreuz befindet sich ein blaues Band mit goldener Inschrift: "Es ist in keinem andern Heil (…) denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind."
Der Text ist von unten nur schwer lesbar. Um ihn vollständig lesen zu können, muss man sich auf die Schlossterrasse oder den umlaufenden Balkon begeben.
Das Zitat ist eine freie Kombination von zwei Bibelstellen (Apostelgeschichte 4,121 und Philipper 2,102) und wurde im Auftrag Königs Friedrich Wilhelm IV. im 19. Jahrhundert nachträglich angebracht.
Nun stuft die derzeitige Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) die Aussage als bedenklich ein. Ihr Problem damit: Das Zitat würde andere Religionen herabsetzen und den Herrschaftsanspruch des Christentums betonen. Damit würde der interkulturelle Dialog behindert. Außerdem wäre es die Absicht des damaligen Königs gewesen, seine Alleinherrschaft zu festigen, indem er eine Verfassung verhinderte.3 Es gibt deshalb den Vorschlag, die Worte der Bibel bei Dunkelheit mittels Leuchtdioden mit anderen Texten zu überstrahlen. Diese wären wahrscheinlich deutlich auffälliger, als das unscheinbare Schriftband.
Dass bestimmte politische Richtungen in Deutschland dem christlichen Glauben kritisch gegenüberstehen, ist kein Geheimnis. Jedoch ist es keinem überzeugten Anhänger einer Religion möglich, allen erdenklichen Glaubensrichtungen die gleiche Wahrheit zuzuerkennen. Eine solche gleiche Gültigkeit wäre nur Gleichgültigkeit.
Nirgendwo in der Bibel findet sich ein Herrschaftsanspruch des Christentums. Bei aller Gewalt und Brutalität durch sogenannte "Christen" in der Vergangenheit und Gegenwart muss man fragen, ob derartige Machtansprüche vom Wort Gottes legitimiert waren bzw. sind.
Die klaren Aussagen des Neuen Testamentes machen deutlich: Nirgends geht es um eine Herrschaftsforderung des Christentums, sondern immer um den Wahrheitsanspruch von Jesus Christus! An seiner Aussage "Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich" (Johannes 14,6) kommen wir nicht vorbei. Christen glauben an die Wahrheit in der Person Jesus Christus. Somit wird deutlich, was es bedeutet, wenn "sich jedes Knie beugen soll". Nicht erzwungener Kniefall, sondern ehrfürchtiges Niederknien vor dem Gott, dem Himmel und Erde gehören. Nicht Unterwerfung Andersdenkender durch Gewalt, sondern ein Missionsauftrag mit Gottes Wort.
Der christliche Glaube ist kein Gesellschaftsmodell. Vielmehr ist es ein Angebot an jeden einzelnen Menschen. Christen wollen und können den Glauben nicht erzwingen. Jeder Einzelne kann das Angebot Gottes annehmen oder ablehnen. Menschen können dem Wahrheitsanspruch Gottes widersprechen. Doch keiner ist in der Position, Gottes Wort zu ändern oder gar zu vernichten. Keine noch so helle Leuchtschrift kann das Licht und die Wahrheit in Jesus Christus überstrahlen.
Die wirkliche Motivation der politisch Verantwortlichen ist in diesem Fall kaum einzuschätzen. Toleranz, also das Ertragen anderer Überzeugungen, kann unangenehm sein. Es ist aber schlecht darum bestellt, wenn noch nicht einmal der Anblick eines Kreuzes4 und eines alten Textes ertragen wird, dem man noch nicht einmal zustimmen muss.
Etwas Gutes hat die Diskussion um zwei einfache Zitate der Bibel aber doch: Die jahrelange Präsenz in den Medien hat die Aussagen Gottes viel bekannter gemacht, als ein schmales und unscheinbares Schriftband an einem Gebäude es jemals vermocht hätte.
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1 Apg. 4,12: In keinem andern ist das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir selig werden sollen.
2 Philipper 2,10: … dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind …
3 Allerdings hatte der König eine Verfassung nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern nur den Entwurf vom 26. Juli 1848.
4 Eine extravagante Widmung, die sich am Reichsapfel unter dem Kreuz befindet, lautet: "Im Gedenken an meinen Mann Werner A. Otto, 1909 - 2011. Inga Maren Otto". Eine Inschrift, die wahrscheinlich nur Gott und die Gebäudereiniger lesen werden. Die Witwe des Versandhaus-Königs hat das Kreuz mit einer Million Euro maßgeblich finanziert.
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