Warum gebraucht Gott Gleichnisse?

Es ist uns unmöglich, Gott mit unseren Sinnen zu erfassen. Das ist die Folge des Sündenfalls und damit der Trennung des Menschen von Gottes unmittelbarer Gegenwart. Gott ist vollkommen heilig und kann keine Gemeinschaft mit Sünde haben. Er versperrte den Zugang zum Baum des Lebens und verhinderte dadurch das Schlimmste, was uns passieren könnte: ewiges und hoffnungsloses Leben in diesem gottfernen, verlorenen Zustand. Seitdem ist der Tod das Schicksal aller Menschen. Diese Situation wird uns im 1. Buch Mose, Kapitel 3, beschrieben.
Doch die gute Nachricht ist: Alles, was wir über Gott, sein Wesen und seinen Plan zu unserer Erlösung erfahren müssen, finden wir in der Bibel. Sie ist Gottes Selbstoffenbarung an uns und lädt uns ein, seine Größe und Liebe zu entdecken.
In der Heiligen Schrift erkennen wir, dass Gott vollkommen, allmächtig und ewig ist. Diese Eigenschaften übersteigen unser menschliches Verständnis. Es ist uns schlicht unmöglich, uns Gott vorzustellen. "Gott ist Geist", sagt uns Jesus, "und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten."1 Das erklärt auch das Verbot, sich irgendein Abbild von ihm anzufertigen.2 "Mit wem wollt ihr Gott denn vergleichen? Hält irgendetwas den Vergleich mit ihm aus?"3

Doch wir sind visuell orientierte Menschen und haben die Neigung, uns dennoch Gott bildlich vorzustellen. Diese Veranlagung gebraucht Gott häufig, um uns sein Wesen in Bildern zu verdeutlichen. In der Bibel stellt er sich als Vater, Hirte, Arzt, Fels, Zuflucht, Richter, König und vieles mehr vor. Auch sein Handeln in der Weltgeschichte wird von seinen Propheten oft sehr bildhaft ausgedrückt. So bezeichnet Gott sich selbst als "Ehemann" des Volkes Israel; die christliche Gemeinde als "Braut" Jesu Christi. Beide Bilder machen seine unverbrüchliche Liebe und Treue zu uns Menschen deutlich.

Gleichnisse, also bildhafte Erklärungen, sind seit jeher ein wichtiges Element des Ausdrucks in den orientalischen Sprachen. Auch Jesus bediente sich dieser kraftvollen Bilder, um seinen Zuhörern durch vertraute Alltagssituationen tiefere geistliche Wahrheiten nahezubringen. Viele dieser Gleichnisse sind uns im Neuen Testament überliefert und dienen dazu, die himmlischen Zusammenhänge im Kontext unseres Lebens besser zu erfassen. Warum sind diese lebendigen Darstellungen für uns so wichtig? Sie sind nötig, wenn Jesus uns die Geheimnisse der unsichtbaren Welt und des kommenden Reiches Gottes näherbringen möchte. Wir benötigen anschauliche Bilder; ohne sie könnten wir die Einblicke in das Verborgene kaum verstehen oder erahnen. Und nicht zuletzt sind diese Illustrationen einprägsam und bleiben im Gedächtnis.
Wir verwenden ebenfalls oft erklärende Gleichnisse, auch wenn dieser Ausdruck heutzutage kaum noch benutzt wird. Stattdessen greifen wir auf Formulierungen wie "Zum Beispiel" oder "Stelle dir mal vor" zurück.

Im Neuen Testament finden wir (ohne dabei die "Ich bin …"-Aussagen Jesu zu zählen) je nach Betrachtungsweise 37 oder 38 Gleichnissea. Es ist bemerkenswert, wie viele verschiedene Aspekte der Wahrheit Jesus mit diesen Bildern beleuchtet.

Manchmal haben wir zu den alltäglichen Dingen der damaligen Zeit keinen praktischen Bezug mehr. Was bedeuten uns Knechtschaften, Tagelöhner oder Weinschläuche heute? Doch die zugrunde liegenden Aussagen sind zeitlos und verständlich.
Es ist dabei wichtig, den Kontext der Gleichnisse zu beachten. So spricht beispielsweise Jesus im Bild des Hirten mit 100 Schafen zwei unterschiedliche Personengruppen an: In Matthäus 18,12-14 richtet er sich an seine Jünger, während er in Lukas 15,4-7 die Pharisäer und Gesetzeslehrer anspricht. Jedes Gleichnis hat somit einen eigenen Hintergrund und eine besondere Betonung.

Haben wir schon einmal darüber nachgedacht, was mit den 99 anderen Schafen geschieht? Ein guter Hirte würde doch seine Herde nicht verlassen und sie der Gefahr des Raubes oder Gerissenwerdens aussetzen! Doch darauf kommt es in diesem Bild nicht an. Sondern Jesus möchte damit das Wesen Gottes, unseres Vaters im Himmel, deutlich machen. Jedes verlorene Schaf, jeder Mensch mit seiner unsterblichen Seele, ist von größter Bedeutung für ihn. Dies betont der Herr eindringlich am Ende dieser Gleichnisse: "Ich sage euch, so wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen."4 "Also ist es auch nicht der Wille eures Vaters im Himmel, dass eines dieser Kleinen verloren gehe."5

Es wird deutlich, dass Bilder innerhalb eines Gleichnisses manchmal nur als Rahmen für die Hauptaussage dienen. Wir sollten uns nicht verleiten lassen, mehr hineinzuinterpretieren als das, was Jesus uns tatsächlich sagen möchte. Denn gerade in der Einfachheit dieser Geschichten liegt ihre eigentliche Bedeutung.

Bibelstellen zum Text:
1 Johannes 4,24 2 2. Mose 20,4 3 Jesaja 40,18
4 Lukas 15,7 5 Matthäus 18,14  

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a Bei der Geschichte von Lazarus und dem reichen Mann ist es unklar,ob es sich um ein Gleichnis oder eine tatsächliche Begebenheit handelt (Lukas 16,19-31).