Durchleuchet
"Ach, wenn es doch ein Mittel gäbe, den Menschen durchsichtig zu machen wie eine Qualle." Diese Worte schreibt der deutsche Mediziner Ludwig Hopf im Jahr 1892. Damit drückte er den Traum vieler Ärzte aus, einen unmittelbaren Blick in das Innere des Kranken werfen zu können. Wohl nicht ahnend, dass dieser Traum wenig später Wirklichkeit werden sollte.
Am Ende des Jahres 1895 zog sich der Physiker Conrad Röntgen in sein Labor in Würzburg zurück. Tag und Nacht forschte er, bis er am 28. Dezember 1895 das Ergebnis seiner Forschung vorstellte: die X-Strahlen (später Röntgenstrahlen). Nun war es möglich, das Innere des menschlichen Körpers von Außen zu fotografieren. Das schaffte den Ärzten eine völlig neue Möglichkeit der Diagnose und Behandlung ihrer Patienten. Bis heute sind diese Strahlen ein wichtiges Hilfsmittel der Medizin, uns allen zum Nutzen.
Modelle verschiedenster Art, 3D-Projektionen im Internet und nicht zuletzt Ausstellungen wie "Körperwelten" machen den inneren Aufbau des Körpers heute auch für Laien sichtbar.
Was wir vom Menschen nicht sehen können, das sind sein Charakter, seine inneren Beweggründe, seine Gedanken. Das, was man die Seele nennt, bleibt uns weiterhin verborgen. Wir wissen nichts von den geheimsten Sehnsüchten der Anderen. Selbst die Psychologie mit ihren wissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnissen steht noch vor vielen Geheimnissen der menschlichen Seele.
Und ich selbst? Auch ich weiß nicht viel von der verborgenen Vielgestaltigkeit, den geheimen Winkeln meines Herzens. Gar nicht selten kommt es vor, dass ich über meine Gefühle, Worte und Reaktionen selbst erschrecke. So weit sind sie oft von dem entfernt, wie ich mich ansonsten sehe und sein will. Dann erinnere ich mich auch an die Worte von Paulus: "Denn ich weiß nicht, was ich tue. Denn ich tue nicht, was ich will; sondern, was ich hasse, das tue ich" (Römer 7,15). Aus Gesprächen mit anderen Christen weiß ich, dass ich nicht allein bin mit diesem Problem. Wunsch und Wirklichkeit sind leider zu oft zwei verschiedene Dinge, auch bei einem Leben mit Gott und seinem Wort. So bleibt mir die manchmal bange Frage: Wer bin ich wirklich?
Der Mensch - das unbekannte Wesen? Fast könnte man es so bezeichnen. Wie viel Versteckspiel und Heuchelei sind uns möglich! Wie viele Gedanken gehen mir manchmal durch den Kopf, die keiner bemerkt. Nein, bloß nicht!
Und was, wenn doch? Was, wenn alles aufgezeichnet wäre und eines Tages wieder zur Sprache käme? Ich fühle mich nicht besonders wohl bei dieser Überlegung. Und doch wird dieser Tag einmal kommen. Wir sind durchschaut! Im Evangelium nach Lukas 8,17 erinnert uns Jesus: "Denn nichts ist verborgen, das nicht offenbar werde, auch nichts Heimliches, das nicht kund werde und an den Tag komme."
Alles, auch das, was wir viel lieber verborgen halten möchten, wird einmal ans Licht kommen. Gott durchleuchtet den letzten Winkel unseres Herzens und kennt uns besser, als wir uns selbst. An die allermeisten unserer Gedanken und Gefühle erinnern wir uns gar nicht mehr. Und viele, an die wir uns erinnern, sind uns unangenehm. Wir würden sie niemals jemandem anvertrauen und am liebsten sogar vor uns selbst verbergen. Aber sie sind da und werden es bleiben, bis Gott eines Tages darüber richtet. In Psalm 139,2 heißt es: "Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne." Es lohnt sich, diesen Psalm einmal im Ganzen zu lesen. Für David, der ihn geschrieben hat, war das nämlich kein Grund, zu erschrecken. Im Gegenteil, in seinem Lied (das war dieser Psalm) ist deutlich seine Freude und Dankbarkeit zu erkennen. Dabei war David sicher kein Mann, der nur mit reinen, gottgefälligen Gedanken umging. Die Bibel berichtet in ihrer Ehrlichkeit Einiges über ihn, was nicht mit Gottes Willen übereinstimmte. Aber er hat auch erlebt und erfahren, was es heißt, wenn Gott Sünden vergibt.
Auch heute noch bietet uns Jesus Christus die Vergebung unserer Schuld an. Der offenen und der geheimen, der bekannten und der verborgenen. "So kommt denn und laßt uns miteinander rechten, spricht der HERR. Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden; und wenn sie gleich ist wie Scharlach, soll sie doch wie Wolle werden." So bietet es Gott uns bei Jesaja 1,18 und vielen anderen Stellen der Bibel an.
Wenn wir unsere Schuld vor ihm aufdecken, kann und will er sie vollständig zudecken. Versuchen wir aber, sie zu verstecken, wird er sie an seinem Tag aufdecken und uns dafür zur Rechenschaft ziehen. Bei Gott heißt Vergebung wirkliches Vergessen! "Ich vertilge deine Missetaten wie eine Wolke und deine Sünden wie den Nebel. Kehre dich zu mir; denn ich erlöse dich" (Jesaja 44,22).
Einmal mit unserer Schuld vor ihm stehen und dafür verurteilt werden, oder Generalamnestie und Löschung unseres Schuldkontos - die Entscheidung darüber liegt heute noch bei uns.
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