Der Suizid des Ahitofel
Selbstmord? Es widerstrebt mir, diesen Ausdruck zu gebrauchen. Juristisch ist Mord ein Begriff, der für Tötung aus Mordlust, Heimtücke, Habgier u.ä. begangen wird. Deshalb finde ich die Bezeichnung einer Selbsttötung als "Selbstmord" fast schon eine Verhöhnung des Opfers und der ihm nahestehenden Menschen. Der Suizid eines Menschen hat nichts mit Mord, Schwäche oder gar "Mut" zu tun, sondern mit Verzweiflung!
Ich habe in meinem Leben noch nie erleben müssen, dass eine Person aus meinem Umfeld sich das Leben genommen hat. Ein solches Ereignis muss absolut tragisch sein und kommt oft wie aus heiterem Himmel. Kaum jemand hätte damit gerechnet, aber es hinterlässt tiefe Spuren auf der Seele. Trotzdem möchte ich über einen Mann nachdenken, der sich das Leben genommen hat. Die Rede ist von Ahitofel im Alten Testament.
"Als Ahitofel sah, dass sein Rat nicht befolgt wurde, sattelte er seinen Esel und kehrte in seine Heimatstadt zurück. Dort regelte er die letzten Dinge mit seiner Familie. Dann erhängte er sich. Er wurde im Grab seines Vaters beigesetzt" (2. Samuel 17,23).
Man liest diesen Vers und fragt sich im ersten Moment, warum? Warum bringt er sich um? Nur, weil sein Rat nicht ausgeführt wurde? Es ist doch kein Grund sich umzubringen. Ein Suizid, der im ersten Moment Fragen aufwirft.
Aber, wenn man sich das Ganze im Kontext anschaut, spricht dieser Suizid Bände. Ahitofel, das sagt uns Kapitel 16, war eine sehr einflussreiche Persönlichkeit. Er war der Ratgeber König Davids und später von Absalom. In Kapitel 16, Vers 23 heißt es: "Ein Rat Ahitofels war damals so, als hätte man das Wort Gottes befragt." Er hat also sehr viel Anerkennung bekommen und damit ist Ahitofel aufgewachsen. Er war mit den Großen seiner Zeit zusammen und sein Rat hatte große Bedeutung. So hatte er enorm viel Einfluss und Macht. Doch dann kommt es dazu, dass Absalom Huschai befragt und auf ihn hört. Das ist für Ahitofel der Anlass, sich selbst zu töten. Warum? Offensichtlich hatte Ahitofel seinen Lebensinhalt in seiner Position gefunden. Weil nun sein Rat nicht mehr befolgt wurde, sah er keinen Sinn mehr im Leben.
Vielleicht kennen wir das auch in unserem Leben, wenn Leute uns häufig um Rat fragen. Irgendwann fühlt man sich dann auch so ein bisschen wichtig. Das schmeichelt einem schon fast. Ich bin wichtig, ich bin gefragt.
Wir alle leben für etwas. Wir Menschen sind so geschaffen worden, dass wir immer für jemanden oder für etwas leben. Bei Ahitofel war das vor allen Dingen seine Stellung und das, was mit dieser Stellung einherging. Er hat seine Identität, wer er ist, davon abgeleitet. In dem Moment, wo das verloren ging, war sein Lebensinhalt weg.
Wir sehen es ähnlich auch bei Rahel im Alten Testament. Da gibt es eine Stelle, wo sie zu ihrem Mann Jakob sagt: "Sorge dafür, dass ich Kinder bekomme! … Wenn nicht, sterbe ich!" (1. Mose 30,1). Ein Wunsch, der zur Forderung wurde. Es war der zentrale Wert in ihrem Leben. Anders sah sie keinen Grund mehr zum Leben.
Manche Menschen, die traurig und ohne Perspektive durch das Leben gehen, sind deprimiert, weil ihre zentralen Wünsche nicht erfüllt werden. Bei Ahitofel geht es so weit, dass er sich das Leben nimmt.
Das ist ein Suizid, der auch uns etwas zu sagen hat. Für uns stellt sich die Frage, woraus wir unseren Lebenssinn beziehen. Wer oder was ist unser Lebensinhalt? Leiten wir unseren Wert im Leben von dem ab, was wir beruflich machen, wie viel wir verdienen? Wie viel Anerkennung wir bekommen oder wie viel Einfluss wir auf andere Menschen haben? Dann leben wir gefährlich!
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